Stephan`s Rennbericht IM Hawaii

Wenn’s so leicht wär, dann könnts ja Jeder.

Samstag, 14. Oktober 2017, 4:00 Früh. Das Aufstehen fällt mir leicht, denn Schlaf grenzt vor einem so wichtigen Wettkampf sowieso an Wunschdenken. Zum Frühstück gibt es wie immer eine Portion Porridge mit einer Banane und jede Menge Zimt, dazu ein daumengroßes Stück Ingwer und zum Abschluss noch eine Rippe Zartbitterschokolade. Gestärkt steige ich um dreiviertel fünf neben meiner Mutter und ihrer Schwester in unser Mietauto und wir fahren Richtung Kona.

Dort angekommen, werden zuerst linker und rechter Unterarm mit den gut lesbaren Zahlen “2299” versehen und danach geht es erst weiter in die Wechselzone. Da mein Bike bereits am Vortag eingecheckt wurde, muss ich nur meine Verpflegung vorbereiten und mir alle Wege einprägen, um eine möglichst schnelle Wechselzeit zu erreichen.

Mit meinem Rennanzug, darüber einen neu erworbenen Swimskin (um auch auf der Schwimmstrecke die nötigen Sekunden nicht zu verlieren, auf Hawaii existiert ein Neoverbot, die Wassertemperatur misst hier über 24 Grad), einer Schwimmbrille und blauer IM Badehaube in der Hand, mache ich mich fokussiert und kampflustig auf den Weg zum Schwimmstart. Mehr als 1600 Triathleten versammeln sich aufgeregt im Wasser der Kona Bay. Die Spannung liegt regelrecht in der Luft und alle warten hochkonzentriert auf das Kanonenfeuer.

Der Massenstart ist neu für mich. Bei lokalen Wettkämpfen starte ich selbstbewusst in der ersten Reihe, doch heute warte ich demütig im mittleren Bereich der zweiten Reihe. Fünf Minuten nach sieben ertönt der gellende Startschuss. Alle schwimmen auf Teufel komm raus. Es erinnert etwas an eine heftigere Rauferei in einer Bar, Schwimmer werden zur Seite gedrängt oder untergetaucht, es hagelt wahllose Schläge und Salzwasser wird geschluckt. Ich muss genauso einstecken jedoch auch austeilen können, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Nach einem gefühlten Kilometer beruhigt sich die Situation und das Feld zieht langsam auseinander. Nach 1,9 Kilometer folgt die Wende retour zur Bay. Dann setzt die Strömung ein, meine Schwimmgruppe zieht mir zu schnell fort und ich muss mein Tempo ein wenig drosseln. Nach einer Stunde und vier Minuten laufe ich aus dem  Meer. Mein Ziel unter einer Stunde zu bleiben ist nicht ganz aufgegangen. In einer späteren Analyse stellt sich heraus, dass ich etwas mehr als 3,9 Kilometer geschwommen bin.

Der Wechsel auf mein Bike gelingt mir in weiterer Folge sehr zügig und ich kann problemlos die Radstrecke in Angriff nehmen. Meine persönliche Strategie lautet, mich bis zum Wendepunkt (bei 97 Kilometer) in Hawi, progressiv zu steigern und mit der noch übrigen Energie zum Angriff anzusetzen. Die Idee fand  ich in der Theorie ganz gut, doch wie so oft, spielt die Realität mit eigenen Regeln. Zu Beginn sind meine Beine so schwer wie Blei und finden lange keinen Rhythmus. Nach 20 Kilometer beruhigt sich allmählich der Puls. Mit dem Ziel, die verlorene Schwimmzeit wieder einzuholen, lege ich ordentlich zu und gehe damit auch ein hohes Risiko ein. Bei Kilometer 30 spüre ich plötzlich den so charakteristischen Gegenwind. Ich kann mich kaum noch am Rad halten. Zehn Kilometer beiße ich durch und werde endlich durch Rückenwind erlöst. Dieser hilft mir durch die anschließenden Anstiege. Danach folgt der U-Turn in Hawi. Ich fühle mich noch immer fit und angriffslustig und beschließe die Abfahrt voll zu nehmen und quasi auf der Überholspur zu bleiben. Nach 140 Kilometer bekomme ich die Rechnung. Mein Magen rebelliert und ich kann weder Tempo noch Puls halten.

Den nächsten Rückschlag erleide ich nach 160 Kilometer. Die Wechselzone schon ganz nahe, kommt erneut starker Gegenwind auf und ich bin auf  mich alleine gestellt, ohne Gruppe in Sichtweite. Nach einem Cola, investiere ich nochmals und schaffe so die letzten Kilometer bis zur Wechselzone. Mit einer Zeit von 4:56 ist mein Ziel unter fünf Stunden zu bleiben erreicht!

Nach einem langsamen Wechsel folgt die gefürchtete Laufstrecke. Der Weg beginnt auf dem bekannten und atmosphärischen Alii Drive, welcher vor der Wende acht Kilometer andauert. Die ersten Kilometer sind die reinste Qual, die Hitze drückt massiv und von einem Rhythmus bin ich meilenweit entfernt. Meine Beine  streiken und vor meinem inneren Auge sehe ich das Horrorszenario einer endlosen Wanderung bis ins Ziel. In der Not entscheide ich mich dafür alle Labstellen zu passieren, um meine Kräfte wiederzufinden. Ich werfe Eiswürfel in mein Trikot, Schwämme unter mein Cappi und kippe mehrere Cola und Iso Getränke hinunter. Eine Handvoll Mitstreiter überholen mich in dieser Phase und ich verliere doch spürbar an Zeit und Boden.

Nach den längsten acht Kilometer finde ich endlich meinen verlorenen Rhythmus wieder und laufe gestärkt weiter. Endlich kann ich diesen Wettkampf genießen und mich mit dem verheißungsvollen Gedanken an eine große Pizza Hawaii wunderbar unterhalten. Bei Kilometer 16 geht es die Palani Street steil bergauf. Danach folgt das schauderhafte Stück der Queens Kaahumanu Highway, eine Strecke, die zehn Kilometer schnurgerade verläuft und von einigen Hügeln durchzogen ist. Hier erlebe ich alle Emotionen. Von Hochgefühlen und wahrer Liebe zum Lauf bis zu tiefgründigem Hass aufgrund der Unendlichkeit dieses Marathons.

Die Temperaturen, welche über 40 Grad liegen, drücken enorm meine Leistung und ich muss jede Labstelle nutzen, um mich abzukühlen. Alle kämpfen jedoch hart mit diesen Umständen und ich kann wieder einige Plätze gut machen. Vor mir liegen immer noch zehn Kilometer mit heftigem Gegenwind. Ich begreife nun mit Leib und Seele warum der Ironman Hawaii seinen Namenszusatz “eines der härtesten Rennen der Welt” wirklich verdient. Mittlerweile ist rein mentale Stärke gefragt, die Strapazen der letzten Stunde haben doch ihre Spuren an meinem Körper hinterlassen. Die letzten Kilometer kann ich mich mit dem motivierenden Gedanken an das nahende Ziel wieder deutlich steigern. Der Zieleinlauf ist ein wahrer Genuss, Erleichterung kommt auf und die Stimmung ist überwältigend. Den Marathon absolviere ich in drei Stunden und 31 Minuten.

Mein Zeit im Ziel 9:39h. In meiner Altersklasse werde ich 17. und Gesamt 200. von 2438 Startern.

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GRATULATION zur TOP Leistung und bester AUT Radzeit 2017!!

 

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